„X-Change“ von Stefan Jahnke



Cover X-Change
Reiseerzählung
Paperback,
308 Seiten
Books on Demand, Norderstedt
Juli 2011
ISBN 978-3-8423-6851-4



Frühjahr 1996.
Studienabsolventen starten von Dresden auf eine organisierte viermonatige Sprachreise nach Südengland. Schon die Fahrt nach Berlin Tegel wird zum Abenteuer, am Londoner Flughafen Heathrow versagt jedwede Organisation und die Gastfamilien sind ebenso nicht zur Aufnahme bereit.
Schließlich auf Schulkosten im Hotel untergekommen, suchen sie sich Jobs für die weitere Finanzierung des Aufenthaltes, dürfen dabei sogar die Internetpräsenz ihrer Gastgeberstadt überarbeiten und beginnen ihr Sprachtraining mit der Übersetzung von Bedienungsanleitungen und Kochrezepten bei einer Hausfrau. So vergehen die Schultage schnell.
Weitestgehend auf sich allein gestellt, bestimmen interessante und abenteuerliche Fahrten, eine Schlacht, Haie, Buspannen, Zugausfälle, einsame und menschenleere Gegenden, Bombenterror der IRA, Wanderungen unter der Themse und in U-Bahn-Tunneln, Sprünge über Meridiane, alte Schiffe, Chinesen und Inder die Wochenenden. Eine ihrer Lehrerinnen versteht es perfekt, ihre Deutschkenntnisse zu verbergen, während die andere verbiestert trotz eindeutiger Beweise jedweden Fehler in den offiziellen Schulungsunterlagen leugnet.
Kommen die Reisenden heil zurück nach Deutschland und bestehen sie ihre Prüfung vor dem Ausschuss der Universität Cambridge?



Leseprobe

Kapitel 2 - Ankunft (Auszug)

Regen. Freude pur, als die Tropfen schon die ganze Nacht vom Sonntag zum Montag auf Fensterbrett, Dach und in den Hof tropfen. Laut. Kaum ein Auge mache ich zu.
Heike verabschiedet mich halb schlaftrunken. Ist wirklich zeitig. Schon gegen 4:00 Uhr sollen wir an der Schule stehen, dort auf die Kleinbusse aus Leipzig warten.
"Und denkt dran… die Fluggesellschaften lassen nur 20 kg Gepäck zu. Was mehr ist, kostet extra oder wird nicht einmal mitgenommen!"
Eine halbe Stunde stehe ich laufend wieder mit dem umgepackten Koffer auf der Waage. Zum Glück war ich zeitig genug munter. Man soll auf der Fahrt nach Berlin und im Flieger schlafen können… oder eben auch nicht. Wer kann das so genau sagen?

Alles fertig.
Ich gehe. Zu Fuß natürlich. Wir wohnen nicht zu weit von der Schule und ich habe einen schönen großen Schirm, auf den ich zur Not am Flughafen oder dann auf dem Rückflug irgendwann Ende Juni verzichten kann. War ein Werbegeschenk einer großen Biermarke.
Der Weg zieht sich. Der Koffer hat zwar Rollen, aber eben vier und keine moderne Trolleystange hintenan, sondern eine schlabbrige Schlaufe. Ich habe die ganze Zeit zu tun, damit das Ding nicht in die nächste Schlammpfütze fällt. Fängt ja gut an!
Endlich erreiche ich die Schule. Dreiviertel Vier. Rekord gebrochen… ich bin der Erste. Klar. Haben wir in der Familie irgendwie im Blut. Warum? Keine Ahnung. Klappt immer.
Nach und nach treffen die Mitreisenden ein. Tobias wird von seiner Freundin gebracht, die ihn über Himmelfahrt oder Ostern besuchen will. So hat er den Vorteil, dass er bei dem Mistwetter mit dem Auto kommt… bis zur Schule. Bequem. Und er ist auch nicht so durchgeregnet, wie ich mich gerade fühle.
Der Handtrockner auf der Toilette der zum Glück offenen Schule muss ganz schön ran und schließlich, als draußen alle da zu sein scheinen, fühle ich mich wieder trocken. Klar, Hemd und Jacke sind noch klamm. Die Hose wird auch erst in London… nahebei… trocknen. Zum Trost rufe ich mir die Geschichte der Eroberer Südamerikas ins Gedächtnis, die in ihren Eisenblechanzügen durch den gerade richtig nassen Regenwald zogen, als ich das Buch zuhause zur Seite legte. Die werden noch ganz andere Probleme gehabt haben. Wenn man morgens aufwacht und sich nicht mehr bewegen kann, weil die Scharniere einrosteten, ist das sicher ein noch blöderes Gefühl, als ich es auf diesem England-Feldzug haben kann.

4:10 Uhr. Keine Kleinbusse. 7:30 Uhr geht der Flieger von Tegel. Daran wird sich nicht viel ändern. Und die vielen Baustellen, die jeden Morgen bei den Verkehrsmeldungen durchgesagt werden, liegen alle auf der A13, die uns nach Berlin bringen soll. Mist. Wie kann das denn nun gehen? Haben wir eigentlich eine Notvariante, wenn Herr Ernst sich doch täuschte und die beiden Busse nicht kommen können? Ich denke, da gibt es nicht einmal eine wirklich angedachte Alternative.
4:30 Uhr. Wo können wir jetzt anrufen, um noch etwas zu ändern? Nirgends? Na, das geht wirklich hervorragend los!
Unzufrieden stehen wir unter dem Vordach der Schulhäuser. Einer läuft immer mal vor zur Straße. Könnte ja sein, dass die Fahrer sich in Hausnummern und sonstigen Dingen irren und wir darum noch nichts von ihnen hörten und sahen.
4:45 Uhr. Irgendwer findet Herrn Ernsts private Telefonnummer. Thomas läuft zur Telefonzelle an der nächsten Ecke und ruft an. Er ist der von uns, der die wenigste Scheu vor allen Höheren hat. Musste sich auch schon ganz schön durchbeißen im Leben!
5:00 Uhr. Herr Ernst ging wohl ran und will noch ein wenig telefonieren. Ob er Erfolg hat? Jedenfalls ist er nun munter und scheint sich gleich auf den Weg zur Schule zu machen, um uns und die Fahrt irgendwie zu retten. Wenn wir zwei Stunden fahren sollten, dann schaffen wir auf keinen Fall mehr die eine Stunde vor dem Abflug, die man am Check-in sein sollte.
5:05 Uhr. Zwei weiße Kleinbusse biegen in die Straße ein. Sichtlich genervte Fahrer steigen aus, rennen zu uns herüber, schnappen sich schon ohne Gruß die ersten Koffer und zeigen uns an, dass wir genauso schnell mitmachen sollen.
"Unfall auf der A14. Sorry, aber das konnte ja niemand ahnen! Sonst brauchen wir kaum eine Stunde von Leipzig hierher. Heute waren es fast zweieinhalb!"
Gerade, als der letzte Koffer in einem der Busse verschwindet, wir uns auf die Sitzbänke aufteilen und langsam etwas ruhiger werden, kommt ein weinroter Audi um die gleiche Ecke gefegt, um die eben noch die Kleinbusse rasten.
Ernst springt zu uns, will auf die beiden Fahrer schimpfen, verhält, nickt nur und wünscht uns eine gute Reise. Er muss wohl auch von dem Unfall gehört haben. Das Radio bringt ihn jetzt. Leider zu spät, denn die Kleinbusse kamen nicht mehr von der Autobahn, als sie es erfuhren. Na, ob das noch gut geht?
Ohne sich auch nur an eine einzige Geschwindigkeitsbeschränkung zu halten, rasen wir los. Natürlich sollten wir uns alle anschnallen und ein wenig ist es jedem von uns schwummrig, gerade wenn die beiden im Heck überladenen Busse in zu enge Kurven gehen. Bloß gut… irgendwann erreichen wir die Autobahnauffahrt an der Hansastraße und nun geht es lediglich lange und weit geradeaus… mal von den Baustellen und Straßenverwindungen abgesehen.

Der Regen setzt erneut ein, als wir die Piste der A13 erreichen, also das Kreuz Dresden und damit auch die A4 hinter uns haben.
"Schaffen wir das noch?"
Beritt sitzt schräg hinter mir und fragt ganz vorsichtig, etwas ängstlich gar zu unserem Fahrer, der sich als ‚Uwe' vorstellt und nun auch versucht, die Hektik wieder abzulegen.
"Keine Ahnung. Ich habe es mal in einer Stunde geschafft. Mit 'nem anderen Auto. Aber heute… na ja, ist noch früh. Doch die Pendler sind vielleicht schon alle auf der Strecke!"
Pendler. Die also irgendwo im Norden arbeiten und im Süden wohnen. Ist das nicht mehr in Richtung Westen der Fall? Nein, West-Berlin scheint noch ebensolch eine Oase des westlichen Tuns zu sein. Und wirklich… so viele sind unterwegs.
"Ich weiß gar nicht, wie die die Baustellen hier gebaut haben. Bin jetzt gut vier Wochen nicht hier lang. Na, mal sehen. Wenn zwei Spuren da sind, dann geht es vielleicht!"
Noch fahren wir auf der alten Bahn. Huckelig. Die Berge sind weg, nur noch Flachland mit ein paar wenigen Hügeln um uns, dann Bäume und alles erinnert mich an meinen Militärdienst in Prora auf Rügen. Da sahen die Wälder ähnlich aus. Waren nur nicht ganz so groß… bedingt durch die Größe Rügens.

Zeit, die nie vergeht, haben wir heute sicher nicht. Als wenn jemand die Uhren extra für die Fahrt geölt hat, rasen die Zeiger noch einmal so schnell herum und wieder ist eine Stunde weg. Dabei die Kilometer… nun, noch fünfzig bis Berlin. Wenn sich unsere beiden Fahrer gut auskennen, kommen wir vielleicht vor sieben in Tegel an? Ich war nur 1989 und 1990 in West-Berlin, müsste jetzt echt lügen, wenn ich sagte, ich wüsste, wo der Flughafen liegt. Aber ich hoffe mal auf die Findigkeit der Fahrer.
Baustellen kamen einige. Halsbrecherisch fast rasten wir auf der linken Spur an Lkws vorbei, überholten sogar einmal einen Polizeiwagen… da dachten wir schon, das wäre es. Aber zum Glück war das nur Grenzschutz. Die Autos sehen so gut wie gleich aus und der Zoll saß wohl drin, der sich mehr mit den vielen ausländischen Lkws beschäftigen wollte. Ob die uns überhaupt wahrnahmen? Nun, in einem Kleintransporter kann man auch eine ganze Menge Zeug verstecken. Aber wir haben für solche Spiele heute soundso keine Zeit.


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