„Vuvuzela“ von Lutz Rocktäschel




Taschenbuch,
236 Seiten,
Pro Business Berlin 2010
ISBN-13: 978-3-86805-746-1

 

eBook (Kindle Edition)
Pro Business Berlin 2013
ASIN B00A9Y3M84


Kohlpeter, ein ehemaliger Wirtschaftsagent, besucht auf Anraten seines Freundes ein international beachtetes Klangsanatorium bei Berchtesgaden. Dort will er sein Ohrenrauschen, ein furchtbares Tröten, wie von einer Vuvuzela, behandeln lassen. Ergebnis der Klangtherapie ist eine Hyper-Sensibilisierung, die es ihm ermöglicht, mit dem Tinnitus kreativ umzugehen. Auf einer nächtlichen Wanderung durch das Sanatorium hört er Stimmen und entdeckt ein experimentelles Labor zur kosmischen Fernerkundung. Der Akustik-Thriller nimmt seinen Lauf ...

Rezensionen (PDF- Dokument):
Vuvuzela oder Die Stimme der Götter - Rezension von Stefan Jahnke



Leseprobe

1. Kapitel

Der Akustikraum

Die schwere Tür el dumpf in die Zarge. Das Schloss klickte, und ein Mechanismus aus Bolzen, Zahnrädern, Metallschienen, Federn und Gewichten setzte sich in Gang. Kohlpeter hielt unwillkürlich den Atem an, als müsse er nun in einem luftdicht verschlossenen Raum sparsam mit jedem Sauerstoff-Molekül haushalten. Nicht einmal eine Luke oder Klappe war in die Tür eingearbeitet, wie man es in einem ordentlichen Gefängnis erwarten durfte. Ein beigefarbener Bezug mit winzigen Löchern ließ das Türblatt gegen die Wand fast fugenlos verschwinden. Links und rechts von der gesamten Fläche der Wände und sogar von der Decke, ragten handgroße Keile in Richtung Raummitte, wo ein Stuhl an einem schmucklosen Tisch stand. Es roch mug nach einer Mischung aus Metall, Staub und undenierbarem Kunststoff. Kohlpeter wischte mit dem rechten Zeigenger über einen der Keile aus Lochblech. Wurde hier jemals Staub gewischt?
Er nahm auf dem unbequemen Stuhl Platz. In der Mitte des Tisches lag ein Blatt Papier, links daneben ein ganzer Stapel, rechts davon eine Glasfeder mit Tintenfass; kein Computer, keine Schreibmaschine, kein Kugelschreiber, erst recht kein Bleistift mit einer Graphitmine. Es sollten einfach alle Eventualitäten der akustischen und technischen Einussnahme von außen ausgeschlossen werden. Doch das Kabel der Tischlampe endete unter dem Tisch in einer Batteriekiste, der Wasserstoffzelle. Kohlpeter schüttelte den Kopf und schob sie mit dem Fuß zur Seite, damit sie beim Schreiben nicht störte. Er hob den Blick und schaute dahin, wo er so etwas wie ein Fenster erahnte. Über einen Schacht konnte hier Licht eingespiegelt werden.
Er war überzeugt, dass diese Maÿnahmen überhaupt nichts halfen; gar nichts! Die Sanatoriumsleitung wollte sich selbst beruhigen, nachdem ihr alles aus den Händen entglitten war und sie die Kontrolle über das Experiment und sogar über das Klangsanatorium verlor. Die Folgen waren unabsehbar. Ihm schien es so, dass man auf Zeit spielte, um interne Verantwortlichkeiten zu klären, statt schnell die Kommission zusammen zu stellen und ihm kompetente Leute zu schicken. Niemand wusste wirklich, was in diesen Räumlichkeiten in Gang gesetzt wurde. Und Kohlpeter war der einzige, der als Proband noch Auskunft über die Experimente geben konnte.
Er sah sich um, und ärgerte sich, dass er dem Akustikraum zugestimmt hatte, der ihn so ohne jeden Schmuck und frei von allem Beiwerk, unwirtlich auf seine Arbeit fokussierte. Es fehlte jede angenehme Ablenkung, die ihm ein Schreiben solch sensibler Erlebnisse, wie er sie zu schildern hatte, erst möglich machte. Keine Panze, kein noch so nebensächlicher Gegenstand, geschweige so etwas wie das, was er als Accessoire bezeichnen könnte. Vor seinem Aufenthalt im Klangsanatorium hätte man mit ihm das alles machen können, denn er war ein spartanischer Mensch gewesen. Aber doch nicht nach der Therapie, mit der erfolgten Hypersensibilisierung! Den Tinnitus hatte er im Griff, fast; doch er ist ein anderer Mensch geworden.
Die Akustikkeile zeigten mit ihren Spitzen alle auf ihn, als habe er etwas ausgefressen, das er nun beichten müsste. Er konnte die Kollegen von der Sicherheit verstehen, dass sie ihn abzuschirmen versuchten. Ihm zeigten ihre kleinlichen Befürchtungen jedoch an, dass sie die Tragweite der Ereignisse noch immer nicht begriffen hatten. Das Klangsanatorium wurde nicht nur von einer kosmischen Schallwelle getroffen. Es hat sich eine neue Dimension geöffnet.
Kohlpeter nahm die Glasfeder zur Hand, die vom Griff bis zur, wie ein Bohrer gedrehten, Spitze mit violetten und roten Wellenlinien verziert war. Sie wurde extra von einem Sicherheitsexperten ausgesucht. Die Feder durfte nicht aus Metall sein. Warum, fragte er sarkastisch, habe er ihm nicht auch noch einen Scherbenhaufen auf den Sitz geschüttet? Und was antwortete der Experte? Das Sitzeisch brauche er noch, wenn er seine Erlebnisse detailliert aufschreibt. Man wolle ihn schließlich nicht umbringen. Vielleicht sollte er sich selbst nichts antun können, bevor die Kommission kommt und die Untersuchungen beginnen. Aber da gäbe es noch viele Möglichkeiten. Kohlpeter rollte den Griff der Glasfeder in seiner rechten Hand zwischen Daumen und Zeigenger hin und her. Wegen Tinnitus sich umbringen? Das kam für ihn nicht in Frage. Natürlich hatte er in manch ruhiger Minute auch Selbstmordfantasien gehabt; nur so, als Spiel mit den Möglichkeiten, die das Leben so bietet. Das liegt nun schon lange zurück, vor seinem Aufenthalt im Sanatorium. Es machte keinen Sinn mehr, weitere Gedanken daran zu verschwenden. Er tauchte die Feder in das Tintenfass, strich sie am Glasrand ab, als habe er noch nie anders geschrieben, und begann mit seinem Bericht, ganz unvermittelt, das leere Blatt zu füllen.


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