„Eingeschlichen“ von Stefan Jahnke




Kriminalroman
Paperback,
308 Seiten
Books on Demand, Norderstedt
November 2010
ISBN 978-3-8423-3253-9


Herbst 2010. Eine Mordserie an Prostituierten erschüttert den Wartburgkreis um Eisenach. Kommissar Fleischhauer aus Zwickau erinnert sich an ähnliche, bisher ungeklärte Fälle vor rund zehn Jahren in einem Escortring aus Augustusburg bei Chemnitz. Die Kollegen in Thüringen wollen sich aufgrund seines fast verjährten Alkoholproblems nicht mit ihm und seiner Theorie auseinandersetzen. Er sucht Hilfe bei seinem Freund, Polizeirat Zech aus Dresden, der eigentlich mit dem Umzug seiner Dienststelle in das neue Polizeizentrum ausgelastet ist. Ein gemeinsamer privater Ausflug zum Ort der alten Verbrechen offenbart einen Diebstahl, führt zur Flucht, gar zum Tod bisher Unbeteiligter und wirft Fragen auf, die vorerst haltlose Verleumdungen gegen die Blutlinie der Wettiner im 16. Jh., Verstrickungen in diverse Machenschaften bei der Machtübernahme der Russen 1945, geheime Verbindungen zwischen Freimaurern, dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, Prostituierten in der ehemaligen DDR und einem Skelett in den alten Fluchttunneln der Augustusburg aufzeigen. Kann Zech klären, was ein längst vergessener Burgvogt, das geheimnisvolle Buch eines gealterten Falkners, ein frivoler Schlossdirektor, zellenartige Keller in einem abgelegenen Bauernhof und ein korrupter Minister miteinander zu tun haben?



Leseprobe

Prolog (Auszug)

"Bereits in den Abendstunden des gestrigen Mittwoch wurde bei Abbrucharbeiten in der Unteren Burgstraße die Leiche einer jungen Frau gefunden. Nach bisher unbestätigten Berichten kann es sich um eine dem Rotlichtmilieu zuordenbare junge Frau aus Eisenach handeln. Die Todesursache ist bisher nach offiziellen Angaben noch ungeklärt. Sollte sich jedoch die Herkunft der Toten bestätigen, wäre dies ein weiterer Fall für die schon vor zwei Jahren zusammengestellte Ermittlungsgruppe ‚Stadtschloss', die seither darauf zurückgeht, dass bis heute ungeklärte drei Mordfälle mit ähnlichem Hintergrund zu bearbeiten sind. Ich schalte jetzt direkt an den Fuß der Wartburg zu unserem Kollegen Holger Bengler. Holger, was kannst Du uns zum aktuellen Stand mitteilen? Gibt es schon neue Erkenntnisse oder tappt die Polizei auch in diesem Fall schon wieder und weiter im Dunkeln und was meinen die Anwohner zu alledem?"

Eigentlich wollte ich die Flimmerkiste gerade ausschalten. Nur die Nachrichten waren es, die mich trotz des vollen Schreibtisches noch interessierten, ehe ich zu Keller wandern darf. Na ja, Polizeichef und Minister… eine Verbindung, die nicht immer so glücklich ist. Gerade jetzt, wo der Umzug ins neue Polizeizentrum ansteht. Eigentlich haben wir… was soll's… Personalknappheit und leere Kassen sind verantwortlich, dass man mir auch diese politische Nähe nachsieht.
Ich schaue wie gebannt in den Fernseher. Da ist die Burg. Wie die das schaffen, solche Bauwerke so wirksam ins Bild zu setzen! Dabei wird wirklich schon so viele Jahre an der Burg gebaut… und ich denke gleich an all die Fälle, die selbst in Sachsen damit zu tun hatten.
Wie meinte Petra zum Wochenende? ‚Der Luther ist in aller Munde. Da sollte man sich die Wartburg mal wieder anschauen.' Habe zwar keine Lust dazu… muss mich schließlich laufend in alten Gemäuern herumtreiben… auch als Polizeichef. Aber was tut man nicht alles… und Kuno… müssen wir halt aufpassen, dass er sich in den dunklen Gängen nicht zu sehr gruselt!
Jetzt schaltet die Kamera noch einmal um. Der Kommentator vor Ort scheint endlich sein Script fertig zu haben.
"Ja, Beate, das ist schon ein verworrener Fall. Die Bauarbeiter wollten nur dieses fast verfallene Haus entkernen, weil der Hotelbetreiber nebenan moderne Garagenanlagen geplant hat, und dann finden sie solch eine Leiche. Ich sage Dir ehrlich, ich möchte nicht der Finder gewesen sein!"
Klar. Wer will das schon. Ich trinke meinen Kaffee aus.
Schnell den Koffer zusammenpacken. Keller will ein paar Unterlagen einsehen, weil er meint, da hätten die Kollegen geschlampt und er müsse alles richten, um Senners Abteilung nicht ganz abschaffen zu müssen. Na, der soll mal…
Meine alte Truppe. Wie er überhaupt darauf kommt, gerade da zu sparen… Geld. Nur Geld regiert die Welt!
Der Mantel hat sich im Garderobenständer verheddert. Nur mit halbem Ohr höre ich noch, was dieser Bengler zu erzählen hat. Aber jetzt kommt jemand ins Bild, mit dem ich doch etwas anfangen kann.
"Der Herr Hauptkommissar Schadt leitet die Ermittlungen vor Ort. Herr Hauptkommissar… bitte… Herr Hauptkommissar…"
Den kenne ich nur zu gut. Manche Weiterbildung haben wir gemeinsam absolviert und ich weiß auch, dass er mit der Presse mehr als nur auf Kriegsfuß steht.
Etwas amüsiert setze ich mich noch einmal in den Sessel. Diese Couchecke von Keller steht immer noch hier. Jetzt ist sie ganz praktisch. Aber wann das letzte Mal da jemand drin…
"Kein Kommentar!"
Der will sich aus der Affaire ziehen! Bengler jedoch lässt sich nicht abwimmeln. Er verstellt meinem Bekannten fast den Weg, dass der sich schon nach weiteren Beamten umsieht, die ihn rausholen sollen. Aber scheinbar sind alle hinter die rot-weißen Absperrbänder geflüchtet. Er ist allein.
"Herr Hauptkommissar… die Bürger sind unruhig! Laufend sterben junge Frauen in der Stadt und niemand kann es sich erklären. Macht die Polizei überhaupt etwas?"
Oh, das ist sicher auch Schadt zu viel! Er geht hoch wie eine Rakete, kann sich gerade noch fangen, um Bengler nicht vor laufender Kamera eine zu verwinken. Aber dann scheint er doch noch zu begreifen, dass er was sagen muss, um nicht alle Schuld auf ihn und die Polizei zu lenken. Ich sehe ihm nur zu gut an… er will nicht!
"Wir wissen derzeit noch gar nichts… Eine Leiche. Weiblich. Vielleicht 25…30 Jahre alt. Aber wie sie zu Tode gekommen ist… kein Blut, keine Spuren von Gewalt. Im besten Falle gar ein natürlicher Tod. Die Kollegen von der Gerichtsmedizin werden das klären. Und bitte… lassen Sie mich meine Arbeit machen. Sonst, das muss ich zugeben, sonst bekommen wir wirklich keine Ergebnisse und Sie können wieder auf mir herumhacken und…"
In dem Moment kommt ein noch etwas jüngeres Gesicht ins Kamerabild. Habe ich irgendwann schon gesehen. Der Mann drängt Schadt regelrecht aus dem Bild. Aber der scheint mehr als nur glücklich darüber. Das ist der Pressesprecher von denen. Jung. Wirklich jung. Aber auch genügend Power, um die Presse…
Schadt ist verschwunden. Eben will dieser… die blenden den Namen ein. Neuner… ja, Neuner heißt der. Falk Neuner.
"Bitte halten Sie sich bei Anfragen direkt an mich. Ich versuche auch, Sie in den Ermittlungen auf dem Laufenden zu halten. Alles Andere lenkt nur von der eigentlichen Polizeiarbeit…"
Die machen dicht.
Gut, versuche ich bei meinen Fällen ebenso. Aber wirkt das bei uns auch so ungekonnt? Na ja, kann sein, dass die wirklich schwimmen… Mordopfer vier in zwei Jahren. Immer will man gerade die Zuteilung der Mitarbeiter ein wenig reduzieren, die Soko auflösen, da passiert es schon wieder. Böse Zungen behaupten schon…
Nein, das will ich nicht einmal denken.
Nun folgt natürlich nur noch das übliche Gerede. Der Kameramann scheint sich zu langweilen und holt eine Beamtin näher heran. Ihre Uniform sitzt nicht richtig und man sieht zwischen Jacke und Hose einen Tangaansatz. Na, Kollege von den Medien… ob das bei dieser Berichterstattung das richtige Bildmotiv ist?
Aha… man blendet weg. Nun ist nur noch ein Bild von Bengler zu sehen… und dahinter die Stadtsilhouette von Eisenach. Die müssen ganz schön schnell gewesen sein. Dass Schadt und sein Team schon da sind… Von Erfurt herüber, das ist ja auch ein Weg… Oder haben die Bauarbeiter erst eine Weile gewartet, ehe sie nach der Polizei die Presse…? Ich bin schon wieder zynisch! Dabei weiß ich doch gar nicht, ob die wirklich das Fernsehen… bei uns in Dresden gibt es für die immer andere Quellen. Mal ist es ein Beamter, mal auch nur einer von den vielen zivilen Kollegen, die sich mit dem ganzen Background beschäftigen. In den seltensten Fällen melden die Finder oder anders Betroffene das an die Presse.


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Eingeschlichen: Mord für Sachsens Krone